* das ist „Binärisch“ und bedeutet…: 8
Ob beim Scrollen durch Facebook, der schnellen Googlesuche oder nach der Frage „Haben Sie eine Payback-Karte?“: Dienste, für die mit Worten wie „gratis“ oder „kostenlos“ geworben wird, sind mittlerweile fest in unseren Alltag eingebunden. Im Gegenzug sammeln die Unternehmen persönliche Daten von uns, mit denen sie beispielsweise durch personalisierte Werbung Geld verdienen. Obwohl es den meisten unheimlich erscheinen mag, wenn nach einem Facebook-Beitrag über die neusten Modetrends plötzlich auf jeder Seite Werbung für das passende Oberteil geschaltet ist, nehmen die meisten dies wohl hin. Klar, Alternativen gibt es kaum, und schließlich wollen wir schon gar nicht auf kostenlose und einfach zu bedienende Anbieter wie Google oder Facebook verzichten. Aber kann man hier wirklich von „kostenlos“ reden? Oder bezahlen wir nicht vielmehr mit unseren persönlichen Daten?
Dieser Frage hat sich nun der Gesetzgeber angenommen und einige Regelungen auf den Weg gebracht, die sich dem Austausch von Leistung gegen Daten widmen.
Wir sprechen mit der Anwältin und Partnerin der Kanzlei Loschelder in Köln Dr. Kristina Schneider darüber, was die neuen Regelungen tatsächlich für Verbraucher*innen bedeuten, wie die Umsetzung in der Praxis aussehen kann und ob die geplanten Änderungen tatsächlich halten werden, was sie versprechen.
Bei Fragen oder Anregungen schreibt uns gerne eine Mail an hallo@dasou.law und folgt und auf Twitter / Instagram bei dasou_law.
Show-Notes:
Dr. Kristina Schreiber bei Twitter: https://twitter.com/ainkristina?s=21
Dr. Kristina Schreiber: https://loschelder.de/de/rechtsanwaelte/anwaelte/dr-kristina-schreiber.html
Gesetzesentwurf: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_BereitstellungdigitalerInhalte.pdf?__blob=publicationFile&v=3
Zugrundeliegende EU-Richtlinie: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L:2019:136:FULL&from=EN
Transkript
Karina Filusch: Hallo und herzlich willkommen beim DaSou-Podcast. Ich bin Karina Filusch, Datenschutz-Anwältin und externe Datenschutzbeauftragte. In jeder Folge sprechen wir mit einer Expertin oder einem Experten über Datensouveränität, abgekürzt DaSou.
Aileen Weibeler: Ich bin Aileen Weibeler und angehende Juristin.
Karina Filusch: Neulich habe ich in einer Fachzeitschrift einen interessanten Artikel von einer Kollegin gelesen und gemerkt, dass eine wichtige Reform an mir vorbeigegangen ist.
Aileen Weibeler: Ja, das bedeutet dann, dass wir zukünftig nicht nur mit Geld, sondern auch mit unseren Daten bezahlen können. Quasi ein Zahlen-mit-Daten-Gesetz.
Karina Filusch: Zahlen-mit-Daten-Gesetz – es gefällt mir richtig gut, wie du das nennst. Im Grunde beschreibt dieses Gesetz den aktuellen Ist-Zustand, denn wir bezahlen bereits mit Daten. Bisher waren Daten noch nicht als Währung angesehen und das ändert juristisch sehr viel beim Vertragsschluss.
Aileen Weibeler: In diesem Zusammenhang spielt auch der Jugendschutz eine wichtige Rolle, denn bei normalen Verträgen konnten die Eltern diese bisher immer problemlos rückgängig machen. Bei Verträgen mit Daten war das bisher nicht so einfach.
Karina Filusch: Insgesamt sind also die Verbraucherrechte gestärkt.
Aileen Weibeler: Außerdem wollen wir uns in der Folge damit beschäftigen, mit welchen Daten wir überhaupt bezahlen können und wie die Unternehmen das alles umsetzen wollen.
Karina Filusch: Deshalb haben wir uns eine Expertin eingeladen. Heute ist Dr. Kristina Schreiber bei uns. Sie ist Anwältin und Partnerin in der Kanzlei Loschelder in Köln. Liebe Kristina, mit unseren Daten zu bezahlen – das klingt futuristisch. Könnte das schon bald Realität sein? Wie kam es zu diesem Gesetzesvorhaben und wann kommt das Gesetz?
Dr. Kristina Schreiber: Wenn man das tägliche Verhalten im Internet kritisch hinterfragt, kann man sagen, dass wir eigentlich heute schon mit Daten zahlen, zum Beispiel bei Facebook, Google, Payback oder auch bei Gewinnspielen. Da bekommen wir des Öfteren Leistungen und nutzen Angebote, mit denen Unternehmen viel Geld verdienen, aber wir zahlen nichts dafür. Das funktioniert, weil die Unternehmen unsere persönlichen Daten nutzen: Zum Beispiel für teuer verkaufte Werbung. Es ist mehr Geld wert, wenn Werbung ganz zielgerichtet an die Menschen versendet wird, die das Produkt vielleicht interessiert. Dass das jetzt künftig ein Gesetz wird, ist aber wirklich ganz schön futuristisch. Vielleicht kommt ein solches Gesetz noch im Juni vor der Sommerpause – spätestens aber im zweiten Halbjahr, da der deutsche Gesetzgeber EU-Vorgaben umsetzen muss, die ab dem 1. Januar 2022 von allen Unternehmen anzuwenden sind.
Karina Filusch: Was regelt das Gesetz das denn genau? Um welche Art von Daten wird es gehen?
Dr. Kristina Schreiber: Die Regelungen, die jetzt ins Gesetz kommen, sind als erster Schritt einmal recht banal. Das Gesetz wird sagen: „Wer einem Unternehmen persönliche Daten von sich preisgibt, obwohl das Unternehmen diese nicht braucht, um die angefragte Leistung zu erbringen, der bezahlt mit seinen Daten.“ Das Gesetz macht damit deutlich: Diese Hingabe der Daten ist genauso viel wert, wie das Zahlen mit Geld.
Karina Filusch: Okay. Wie muss ich mir das vorstellen? Ploppt eine Maske auf und ich muss Daten eingeben? Oder sind es Daten, die im Hintergrund erfasst werden? Um welche Daten handelt es sich?
Dr. Kristina Schreiber: Möglich ist beides. Betrachtet man den Markt derzeit, so passiert es eher im Hintergrund. Wenn ich im Internet surfe, zum Beispiel auf Facebook, erlaube ich zu erfassen, was mich interessiert, also welche Seiten ich anklicke. Oder einfacher: Bei einem Gewinnspiel sage ich: „Ich bin damit einverstanden, dass du mir künftig Werbe-E-Mails schicken darfst oder mich anrufen darfst. Dafür gibst du mir die Chance, einen Preis zu gewinnen oder an einer Veranstaltung teilzunehmen.“ Es sind also immer persönliche Daten, die mich betreffen. Das könnte meine E-Mail-Adresse, mein Nutzerverhalten im Internet oder auch mein Einkaufsverhalten – ich denke hier an Payback – sein.
Karina Filusch: Reicht es dann schon, wenn ich irgendeine Seite öffne? Oder muss ich dort tatsächlich einen Kauf tätigen?
Dr. Kristina Schreiber: Das ist eine der Fragen, die gerade ganz enorm umstritten sind. Beide Seiten, also die Unternehmer- und auch die Verbraucherseite müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie eine Leistung bekommen und dafür etwas hergeben. Das heißt, dieses verdeckte und versteckte Datenerheben, wenn ich im Internet unterwegs bin, wäre davon nicht erfasst. Das hört sich jetzt so an, als könnte ich als Unternehmer mich da noch durchmogeln und im luftleeren Raum bewegen. Das darf es künftig nicht mehr geben und ist schon jetzt sehr fraglich unter dem Datenschutzrecht.
Karina Filusch: Du sprichst auch gerade den Ist-Zustand an. Was ist denn das Ziel des Gesetzes? Ist es nicht heute schon so, dass wir irgendwie mit Daten bezahlen, oder was ist das Ziel?
Dr. Kristina Schreiber: Da sprichst du einen wirklich ganz wichtigen Punkt an. Im Zuge der Neuregelung, die jetzt geplant ist, gibt es einen großen Streit darüber, ob eine solche Regelung im Gesetz zu einem Ausverkauf unserer Daten führt. Ich sehe das etwas anders und bin damit nicht ganz allein, weil dies ja jetzt schon machen. Es ist jetzt schon so, dass wir an ganz vielen Stellen mit unseren eigenen Daten bezahlen und es oft gar nicht so richtig wahrnehmen. Das neue Gesetz bringt dies ans Licht, rückt es in den regulierten Bereich und führt damit dazu, dass künftig Verbraucherschutzrecht anwendbar ist. Letztlich ist es ein Schutzgesetz, das nämlich sagt: Wenn du mit deinen persönlichen Daten bezahlt, dann bist du genauso als Verbraucher geschützt, wie wenn du mit Geld bezahlen würdest. Und die Unternehmen müssen sich daran halten.
Karina Filusch: Was bedeutet das? Ich als Juristin weiß das schon, aber vielleicht für unsere Hörer*innen, damit die auch eine Vorstellung haben: Wie bin ich denn jetzt dadurch geschützt, wenn ich mit meinen Daten gezahlt habe? Wie sehen die Verbraucherrechte aus?
Dr. Kristina Schreiber: Ja, das sind ganz wichtige und zentrale Punkte. Zum Beispiel: Ich habe einen Anspruch darauf, dass mir das Unternehmen die Leistung ohne Mängel, also so wie ich es erwarte, zur Verfügung stellt. Ich kann das durchsetzen und einklagen. Ich habe Ansprüche darauf, dass das Ganze über die Zeit nutzbar bleibt, also Updatepflichten. Wenn technische Neuerungen da sind, dann muss sich das Unternehmen wirklich darum kümmern. Ein sehr wichtiger Punkt am Schluss: Wenn ich das nicht mehr will, habe ich das Recht, Stopp zu sagen. Dann darf das Unternehmen meine Daten auch nicht mehr weiterverwenden. Ich kann in der Regel dann auch nicht mehr die Leistung beziehen, aber ich habe es damit in der Hand, einen Endpunkt zu setzen. Du hast es richtig gesagt – das ist juristisch immer noch der zweite wichtige Punkt: Ich kann meine Rechte nicht nur allein durchsetzen. Dadurch, dass diese Regelung ins Gesetz kommt, können z.B. auch Verbraucherschutzverbände klagen. Das ist deutlich effizienter, als wenn der einzelne Nutzer ein Gerichtsverfahren für eine nicht so teure Leistung anstrengen müsste.
Karina Filusch: Aktuell ist es so, dass Dienste als kostenlos gelten, wenn man sie mit seinen Daten bezahlt. Nun wird im Gesetz geregelt, dass das nicht mehr als kostenlos gilt. Man hat mit seinen Daten bezahlt. Wie kann ich das jetzt als ganz normale Verbraucherin geltend machen oder nachprüfen, wenn ich im Internet unterwegs bin und feststelle, dass ich doch nicht möchte, dass ein unseriös wirkender Dienst meine Daten verwendet?
Dr. Kristina Schreiber: Wenn der Dienst seriös und rechtskonform vorgeht, dann muss es ganz einfach sein, zum Beispiel durch die Möglichkeit eine E-Mail an „Info @ Dienstname“ zu schreiben. Wir beenden das Ganze jetzt und bitte bestätige mir das. Dann kann ich auch gleich darum bitten, dass mir die Informationen zum bisherigen Vorgang zugeschickt werden und mir zum Beispiel bestätigt wird, dass die Daten jetzt gelöscht werden. Jetzt wird es ein bisschen juristischer. Das nennt man datenschutzrechtlich Einwilligungswiderruf und ganz normal juristisch Vertragsbeendigung. Wenn ich in einem Bereich unterwegs bin, in dem ich das Gefühl habe, dass es sich um ein unseriöses Unternehmen handelt, weil ich den genauen Anbieter nicht ermitteln kann und keine Kontaktadresse herausfinde, dann habe ich immer noch die Möglichkeit mich an einen Verbraucherschutzverband zu wenden, der mit dem neuen Gesetz noch deutlich mehr in der Hand haben wird, um zu helfen.
Karina Filusch: Das heißt, dass ich in einem solchen Fall zum Glück nicht schutzlos bin. Das ist schon mal sehr schön zu hören. Das Zahlen-mit-Daten-Gesetz ist Teil des bürgerlichen Rechts oder kommt dann ins bürgerliche Recht. In diesem Zusammenhang sieht man eindeutig die Schnittstelle zwischen Vertragsrecht und Datenschutzrecht. Man sieht, wie das so alles ineinander hängt. Im Grunde sind es die klassischen datenschutzrechtlichen Ansprüche, die ich geltend machen kann, oder? Auskunftsrecht, Löschungsbegehren und so weiter…
Dr. Kristina Schreiber: Genau diese Rechte habe ich. Durch die Verzahnung mit dem Vertragsrecht habe ich nun noch zwei wichtige Zusatzelemente, die das Ganze verbessern. Zum einen war es bisher nicht eindeutig, wie das mit der Einwilligung, dem datenschutzrechtlichen Widerruf und einem Vertrag, der eigentlich erfüllt werden soll, eigentlich funktionieren soll. Dazu sagt das neue Recht sehr klar: Du als Verbraucher kannst immer Stopp sagen. Dann darf das Unternehmen aber auch mit der Leistungsbereitstellung aufhören, wenn ihm das sonst unzumutbar ist. Das war bisher unsicher und es war unklar, was da eigentlich galt. Das Zweite ist, dass es sein kann, dass du nicht nur Daten von dir selbst hergibst, sondern auch noch andere wertvolle Daten. Diese Problematik wird in der Gamingszene oft im Zusammenhang mit Spielverläufen und Landschaften, die aufgebaut werden, diskutiert. Das neue Vertragsrecht sagt jetzt: Auch diese nicht-personenbezogenen Daten darf das Unternehmen, wenn du Stopp sagst, im Regelfall nicht mehr verwenden. Es gibt schon ein paar Ausnahmen, aber du bist als Verbraucher doppelt geschützt.
Karina Filusch: Wow, das heißt, die Rechte gehen noch viel weiter als das Datenschutzrecht. Ich bin echt überrascht. Wenn ich in meiner Tätigkeit als Datenschutzanwältin Unternehmen anschreibe, weil die Verbraucher mit der Bitte der Löschung der dort vorhandenen Daten zu mir gekommen sind, kriege ich von Unternehmen oft die Antwort, dass die Daten nicht gelöscht werden können, da sie nicht personenbezogen sind. Ich bin echt begeistert, dass das in der Zukunft schneller gehen wird und die Unternehmen sich nicht mehr auf diese Ausrede berufen können. Großartig, das freut mich!
Dr. Kristina Schreiber: Genau, es gibt da aber ein paar Ausnahmen. Mit aggregierten Daten z.B. darf das Unternehmen noch weiterarbeiten. Gleiches gilt, wenn der Verbraucher definitiv keinerlei Interesse daran hat. Die Ausnahmen sind allerdings eng gestrickt.
Karina Filusch: Sind aggregierte Daten statistische Daten oder um was für Daten handelt es sich?
Dr. Kristina Schreiber: Genau. Aggregierte Daten sind verschiedenste zusammengefasste Daten von vielen Nutzern. Um es banal zu sagen: Heute haben 500 Leute die Website X besucht. Oder, gehen wir nochmal zurück zu Payback, weil das vielleicht eines der ursprünglichsten Beispiele für das Bezahlen mit Daten ist: Kartoffeln waren gestern bei den meisten Nutzern gefragt.
Karina Filusch: Okay, weil du jetzt gerade Payback ansprichst: Wie sieht es denn jetzt damit aus? Bei einer Payback-Karte scheint es so, als würde ich mit meinen Daten für Punkte bezahlen, die ich dann später in Gutscheine einlösen kann. Was ist denn, wenn ich mich später dafür entscheide, diese Daten nicht mehr zu teilen und auch keine Punkte mehr zu sammeln? Wie kann ich sicher sein, dass meine Daten nicht mehr verwendet werden?
Dr. Kristina Schreiber: Das ist nochmal ein sehr wichtiger Punkt, bei dem wir auch zwei Perspektiven betrachten müssen. Mit dem neuen Recht, kombiniert mit dem Datenschutzrecht, hast du einen ganz starken Status zu sagen: „Payback, stopp, wir beenden das Ganze hier. Du musst meine Daten löschen und darfst diese auch nicht mehr weiterverwenden.“ Das ist das Recht als solches. Dieses Recht ist nur dann etwas wert, wenn ich es auch durchsetzen kann. Dafür habe ich bisher schon das Schwert des Datenschutzrechts gehabt, was seit inzwischen drei Jahren mit dem neuen EU-Recht auch dadurch wirkungsvoll ist, dass die Bußgelder erhöht worden sind. Da deutlich mehr Aufmerksamkeit auf dem Datenschutzrecht liegt, kann man seine Rechte besser durchsetzen. Daneben tritt jetzt noch das Vertragsrecht, sodass man auch Ansprüche geltend machen und gegebenenfalls vor den Zivilgerichten einklagen kann oder direkt Hilfe über einen Verbraucherschutzverband suchen kann, was oftmals effektiver ist.
Karina Filusch: Das heißt, Profiteure dieses Gesetzes sind im Grunde die Verbraucher*innen und auch die Verbraucher*innenschutzverbände, so wie ich das richtig verstehe. Wie sieht es mit den Unternehmen aus? Ist es eher eine Stärkung oder eine Überforderung für die Unternehmen?
Dr. Kristina Schreiber: Zielrichtung des Gesetzes ist der Verbraucherschutz. Nutznießer sollen in erster Linie die Verbraucher*innen sein. Für Unternehmen ist das Ganze ein zweischneidiges Schwert. Helfen wird sicherlich, dass an einigen Punkten Rechtssicherheit geschaffen wird. Auch, wenn ich als Unternehmen jetzt vielleicht strengeren Regeln unterliege, ist es schon einiges wert, wenn ich rechtssicher weiß, was ich machen darf und wo Risiken drohen. Das ist besonders der Fall, wenn ich als kleineres Unternehmen bzw. als Startup in einen neuen Markt eintreten will. Auf der anderen Seite hat das neue Recht einiges bewirkt oder wird einiges bewirken, das aus Unternehmersicht ein wenig über das Ziel hinausschießt. Ich habe z.B. künftig sehr weitreichende Updatepflichten und muss wahrscheinlich mehrere Produktversionen im Markt halten, was gerade bei neu entwickelten Apps oft schwierig ist, wenn ich schon ganz früh an den Markt möchte und eigentlich weiterarbeiten möchte. Ein zweites großes Problem aus Unternehmersicht ist, dass das Gesetz sehr schnell gestrickt worden ist. Viele EU-Vorgaben sind fast 1:1 übernommen worden und dadurch werden sich in der Praxis viele Fragen stellen. So wird es Stellen geben, wo es leider doch nicht so klar ist, wie man es vielleicht hätte regeln können. Als Resümee vielleicht: Verbraucherschutz ist das absolute Ziel, Unternehmer und Unternehmen können aber auch profitieren, weil sie eben genauer wissen, was sie tun dürfen.
Karina Filusch: Du hast jetzt gerade gesagt, das Gesetz hat noch ein paar Schwachstellen. Was ist das Schlimmste, was passieren könnte, wenn das Gesetz im jetzigen Stadium veröffentlicht werden würde und angewandt werden würde?
Dr. Kristina Schreiber: Das größte Problem v.a. aus der Unternehmersicht ist, dass nicht klar geregelt ist, wann denn jetzt ein Vertrag zustande kommt. Darüber streiten sich im Moment viele. Wir als Juristen kennen das schon aus den Erstsemestervorlesungen ganz am Anfang. Ich brauche, um einen Vertrag zu schließen, zwei Willenserklärungen. Der eine sagt: „Ich biete dir das an“ und der andere sagt: „Ja, das möchte ich. Das nehme ich so an.“ Jetzt finden sich rund um das Gesetz Anhaltspunkte, dass das bloße Surfen auf einer Webseite mit dem Klick auf „Ok, du darfst mir Werbung anzeigen“ schon ein Vertragsschluss sein könnte. Das passt nicht so ganz in die Wirklichkeit. Würden wir 100 Leute fragen, so würden die meisten nicht sagen, dass sie dabei einen Vertrag abschließen. Im Moment ist es das größte Problem, dass die Grenze verschwimmt, ab wann das Ganze wirklich Anwendung finden soll.
Karina Filusch: Das berührt dann wahrscheinlich auch Tracking Dienste, die im Hintergrund von so einer Webseite laufen, oder? Also „Darf ich die Werbung anzeigen und darf ich dich tracken?“, durch Cookies zum Beispiel, oder? Wenn ich auf so ein Cookie-Banner klicke, wäre das auch ein solcher Fall?
Dr. Kristina Schreiber: Genau. Das ist der streitige Fall, der immer als Beispiel genannt wird. Wir haben eine Situation, in der es sehr schwer greifbar ist, ob das neue Recht jetzt wirklich von einem Vertragsschluss ausgehen will, was nach bisherigem Recht eigentlich nie jemand gedacht hat. So soll das neue Recht keine neuen Vertragsabschlussregeln bringen, sondern nur sagen, dass auch im digitalen Bereich bestimmte, besondere Rechte gelten, und zwar auch dann, wenn ich mit meinen Daten bezahle.
Karina Filusch: Was ist eigentlich mit dem Kinder- und Jugendschutz? Wird da irgendwas gemacht, um die Kinder und Jugendlichen zu schützen, damit sie nicht wild Verträge abschließen und mit Daten zahlen, um bares Geld zu sparen und damit die Eltern davon nicht erfahren?
Dr. Kristina Schreiber: Das neue Gesetz enthält hierzu keine speziellen Regelungen. Drumherum hingegen passiert gerade viel. Das Jugendschutzgesetz ist geändert worden. Bald kommt ein neues Gesetz mit dem schwierigen Namen Telekommunikations- und Telemediendatenschutzgesetz. Die in diesem Gesetz enthaltenen Regelungen schärfen auch den Jugendschutz im Netz, zum Beispiel mit Pflichten zu sehr klarer Altersverifikation, also Prüfmechanismen, ob derjenige, der gerade sagt, er wäre 18 oder 16, wirklich so alt ist. Darüber werden Jugendliche besser vor zu schnell oder unbedacht abgeschlossenen Verträgen geschützt. Das neue Recht hilft hier „durch die Hintertür“, weil es ganz klar vorgibt, dass das Bezahlen mit Daten ein Rechtsgeschäft ist. Es handelt sich also um einen Vertrag im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches. Damit gelten auch die schon altbekannten Regelungen zum Vertragsschluss von Jugendlichen. Das rückt die Thematik erneut ins Licht, bringt sie in die Regulierung und macht sie zudem sichtbarer.
Karina Filusch: Im Umkehrschluss kann man das Gesetz so zusammenfassen, dass unsere Daten nun als Währung akzeptiert werden. Denkst du, dass damit schon alles ausgeschöpft ist? Oder gibt es vielleicht noch mehr Möglichkeiten und noch weitere Türen, die geöffnet werden könnten?
Dr. Kristina Schreiber: Ich glaube, dass der Schritt, der jetzt gegangen wird, der Allererste ist. Im Grunde steht künftig nur im Gesetz, dass das Zahlen mit persönlichen Daten einer Zahlung mit Geld gleichzustellen ist. Das ist der erste Schritt bzw. das erste vorsichtige Versuchen, das Ganze nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu regulieren. Ich denke, dass die Zukunft noch mehr Innovationen bringen wird und, dass dieser Bereich noch ausdifferenzierter geregelt werden wird, wenn die ersten Erfahrungen gesammelt worden sind und der erste Schritt in Richtung Öffnung gemacht ist.
Karina Filusch: Könnte es ein Gesetz geben, das ein Gewinn für alle Seiten sein könnte? Wie würdest du dir das denn vorstellen?
Dr. Kristina Schreiber: Ja. Der wichtigste Schritt ist bereits mit dem Gleichstellen getan. Für Verbraucher*innen und Unternehmen wäre es gleichermaßen noch wichtig, das Ganze noch klarer zu fassen. Ein konkretes Beispiel ist, dass Unternehmen den Vertrag beenden dürfen, wenn ein Verbraucher oder eine Verbraucherin entscheidet, die Daten nicht mehr bereit zu stellen, und das für das Unternehmen unzumutbar ist. Dies ist ein sehr offener Begriff, selbst für uns Juristen, die gewohnt sind, damit umzugehen. Da wäre es sehr hilfreich und für ein optimales Gesetz gut, wenn das konkretisiert würde. Genauso wäre es sehr hilfreich und besser, wenn die Verzahnung zum Datenschutzrecht noch klarer funktionieren würde und klarer austariert werden könnte. Aus meiner Sicht ist hier ein Schritt in die richtige Richtung getan. Es wäre aber noch besser, wenn die Regelungen konkreter würden und die Schrauben, die jetzt eingedreht worden sind, nachjustiert würden.
Karina Filusch: Dann komme ich jetzt zu meiner allerletzten Frage: Liebe Christina, was ist denn DaSou für dich?
Dr. Kristina Schreiber: DaSou ist ein passender Name für deinen Podcast. Datensouveränität fängt für mich damit an, dass ich überhaupt weiß, was mit meinen Daten passiert. Erst, wenn ich das weiß und informiert bin sowie Transparenz habe, kann ich auch souverän mit den Daten umgehen. Deswegen begrüße ich dieses neue Gesetz genauso wie die oft als sehr weit und vielleicht auch nervig empfundenen Informationspflichten, beispielsweise unter der Datenschutzgrundverordnung. Datensouveränität bedeutet für mich, dass ich selbst entscheide, was mit meinen Daten passiert. Ich möchte bestimmen können, wo ich sie hingebe oder wo ich sie auch nicht hingeben möchte. Dafür ist es die Grundvoraussetzung, dass ich weiß, was passiert. Hierbei wird auch das neue Gesetz nochmal helfen, da es wieder verschiedenste Hinweis- und Informationspflichten enthält, die Anbieter bzw. Produktanbieter dazu verpflichtet, Verbraucher*innen zu sagen, was sie mit den Daten machen und wofür sie die Daten haben möchten. Erst dann kann ich souverän agieren und souverän entscheiden, ob es mir das wert ist.
Karina Filusch: Liebe Christina, dank dir freue ich mich nun auf dieses neue Gesetz. Ich bin sehr gespannt und froh darüber, dass der Gesetzgeber dieses Problem gesehen hat, es in Angriff nimmt und jetzt unsere Verbraucher*innenrechte schützt. Danke, liebe Kristina, dass du dir die Zeit genommen hast und uns dieses spannende Thema so verständlich und ausführlich nähergebracht hast. Ganz lieben Dank!
Dr. Kristina Schreiber: Danke dir für die guten Fragen. Es hat Spaß gemacht, über dieses wirklich spannende Thema zu sprechen.
Aileen Weibeler: Das klingt auf jeden Fall spannend. In der Zukunft kommen unsere Daten nicht nur bei der Payback-Karte zum Einsatz, sondern es wird gang und gäbe, mit Daten zu bezahlen.
Karina Filusch: Das Gesetz ist auf jeden Fall eine große Chance.
Aileen Weibeler: Wir hoffen, dass die Folge hilfreich für euch war. Hört doch beim nächsten Mal wieder rein, wenn wir wieder über DaSou sprechen. Wenn ihr Fragen zu DaSou habt, schickt uns gerne eine Mail an hallo@dasou.law oder eine Twitter-Nachricht.
Karina Filusch: Abonniert uns auf jeden Fall bei eurem Lieblings Podcast Anbieter. Danke fürs Zuhören, bis zum nächsten Mal.
Aileen Weibeler: Bis bald!
Karina Filusch: DaSou ist eine Produktion der Kanzlei Filusch. Mehr Infos findet ihr auf unserer Website www.dasou.law. Der Jingle wurde komponiert von Mauli, die Idee zu DaSou hatte Axel Jürs, das Cover hat Hélène Baum erstellt, beraten wurden wir von Susan Stone. Editiert wurde der Podcast von Christoph Hinners.