Big Brother is watching you beim Klausurschreiben?

von Jakob Schüssler

Die Corona-Lage ist auch an den Universitäten und Hochschulen nicht vorbeigegangen. Während die Öffnung der Schulen wie ein Damoklesschwert über jeder Ministerpräsidentenkonferenz hing, scheinen die Universitäten und Hochschulen in den Runden ein tristes Schattendasein zu fristen. Seit April 2020 und der weitestgehenden Schließung der Bildungseinrichtungen war dennoch klar, dass der Betrieb so gut es geht aufrecht erhalten werden sollte. Das hat zu Beginn größtenteils katastrophal, dann akzeptabel und, zumindest wenn man den Erfahrungsberichten von quer durch das Land verstreuten Kommilitoninnen und Kommilitonen Glauben schenkt, im Hinblick auf die Vorlesungen zuletzt sogar ganz gut geklappt. Und während für die Vorlesungen Alternativen wie Zoom oder Microsoft Teams gefunden wurden, die zwar sicher nicht perfekt, aber dennoch annehmbar sind, ergibt sich hinsichtlich der Durchführung der obligatorischen Prüfungen ein Bild, das heterogener nicht sein könnte.

Grenzenlose Überwachung?

Als die Bucerius Law School in Hamburg unmittelbar nach Beginn der Pandemie auf Open-Book-Klausuren mit Videoüberwachung wechselte, setzte zumindest die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Hamburg auf reguläre Klausuren, die ohne Hilfsmittel, aber auch ohne das Erfordernis einer Webcam von zu Hause aus geschrieben werden. Aus Berlin wiederum hörte man von Studierenden zu Beginn der ersten Prüfungsphase während Corona teilweise Erschreckendes. Hier sollte eine Software verwendet werden, die während der Klausur kompletten Zugriff auf den Computer erhalten hätte. Neben der Überwachung durch die Webcam und der Aufzeichnung durch die Computermikrofone sollte das Programm auch auf andere Programme auf dem Rechner zugreifen können, Zugriff auf die Zwischenablage erhalten, geöffnete Dateien erkennen, verbundene Monitore trennen und nebenbei die Augen- und Mundbewegungen der Studierenden verfolgen und analysieren können. Nachdem sich ähnliche Fälle bundesweit häuften, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich Studierende Hand in Hand mit den zuständigen DatenschützerInnen wehrten.

Ein (datenschutz-)rechtlicher Überblick

Schnell war klar, dass die (datenschutz-)rechtliche Bewertung von Onlineklausuren keineswegs trivial ist. Daher an dieser Stelle ein kurzer rechtlicher Überblick, der schon aus Gründen dieses Formats keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, stark vereinfacht ist und sich nur mit dem besonders relevanten Bereich der Videoüberwachung von Prüfungen beschäftigen soll.

Grundsätzlich dürfen die Lehrenden und Prüfungsbehörden im Rahmen des Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) das Prüfungsverfahren selbst festlegen. So können auch digitale Lösungen zur Anwendung kommen. Da hierbei Daten verarbeitet werden, ist grundsätzlich die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der richtige Anhaltspunkt. Die Datenverarbeitung muss nach Artikel 6 DSGVO rechtmäßig sein. Hierzu gibt es verschieden Ansichten, da teilweise das in diesem Kontext notwendige öffentliche Interesse an der Wahrnehmung von Videoüberwachung bei Onlineklausuren bezweifelt wird. Zu beachten ist allerdings, dass neben dem Individualinteresse eines Prüflings, Klausuren schreiben zu können, auch das Gemeinwohlinteresse eines funktionierenden Bildungswesens steht. Dieses soll auch unter Pandemiebedingungen so gut es eben geht, aufrecht erhalten werden. Schließt man sich nun also der Ansicht an, die ein öffentliches Interesse bejaht, muss die Videoüberwachung auch verhältnismäßig im Hinblick auf die betroffenen Grundrechte der Studierenden sein. An dieser Stelle, wie könnte es anders sein, scheiden sich die Geister erneut. Es ist nicht das Ziel dieses Beitrages, für eine Seite zu werben, beide Ansichten lassen sich durchaus hören. Daher an dieser Stelle lediglich ein Überblick zu den Diskussionsgrundlagen.

In Frage kommt neben dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 Absatz 1 GG in Verbindung mit Artikel 1 Absatz GG auch das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 GG). Zunächst zu letzterem. Teils wird argumentiert, dass es sich bei Videoüberwachung während einer Klausur um ein „digitales Eindringen“ in die eigene Wohnung handle. Schließlich könnten die Prüfendenden einen Teil der Wohnräume der Studierenden einsehen. Dies sei im Hinblick auf die Unverletzlichkeit der Wohnung nicht hinnehmbar. Man müsse die Prüfenden quasi während der Klausur ins eigene Wohnzimmer lassen. Auf der anderen ist zu konstatieren, dass die Studierenden den Bildausschnitt selbst wählen und anpassen können, so lange sie selber zu sehen sind. Teils bieten Videokonferenzlösungen auch einen Blur-Effekt, der die Person erkennt und den Hintergrund automatisiert verschwimmen lässt. Ob dies und die prinzipielle Möglichkeit, sich schlicht vor eine Wand zu setzen, ausreicht, wird unterschiedlich bewertet.

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist insbesondere in seiner Ausprägung des Schutzes gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung und Verwendung von persönlichen Daten relevant. Während die Videoaufnahme als solche mittlerweile von der wohl überwiegenden Mehrheit als verhältnismäßig angesehen wird, begegnet die Speicherung größeren Bedenken. Insbesondere sei nicht ersichtlich, weswegen es überhaupt einer Speicherung bedarf. Schließlich bestünde durchaus die Möglichkeit, vergleichbar mit einer Präsenzklausur und einer digitalen Vorlesung, dass das Video zwar live übertragen und von einem Prüfenden in Echtzeit überwacht, jedoch nicht gespeichert würde. Andererseits ließe sich argumentieren, dass in praktischer Hinsicht die schiere Menge der Videos auf dem Bildschirm der Prüfenden die Überwachungspraktikabilität übersteige. Es sei kaum vorstellbar, dass einige wenige Prüfende beispielsweise in den Klausuren des ersten Jura-Semesters, die regelmäßig von mehreren hundert Studierenden geschrieben werden, zu jeder Zeit alle Studierenden im Blick zu haben. Vielmehr würde sich auf einige wenige Prüflinge fokussiert, während andere den Augen der Prüfenden entgingen. Dieser Argumentation wiederum kann entgegen gehalten werden, dass auch bei Präsenzklausuren kaum eine lückenlose Überwachung gewährleistet ist. Ob in Präsenz ein kurzer Blick auf die Blätter des Kommilitonen oder bei digitaler Durchführung auf die eigenen Notizen fällt, sei insoweit gleich zu bewerten.

Und nun?

Ob Videoüberwachung während Prüfungen tatsächlich ein verhältnismäßiges Mittel sind, bewerten neben der Literatur auch Gerichte bis dato unterschiedlich. Dies hat den angenehmen Nebeneffekt, dass sich jede und jeder selber eine Meinung bilden kann, ohne sich gegen die Rechtsprechung zu wenden. Eines sollte allerdings sicher sein: Viel zielführender, als sich über den Sinn und Unsinn von Überwachungsmöglichkeiten von Prüfungen Gedanken zu machen wäre es, wenn die Rückkehr zur Normalität im Hinblick auf die Universitäten und Hochschulen vermehrt Einzug in die Ministerpräsidentenkonferenz fände. Denn den digitalen Status quo und den damit verbundenen massiven Problemen und Unsicherheiten unter uns Studierenden sollte niemand einfach hinnehmen. Schon gar nicht die Regierenden.

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Beitragsbild: moinzon / www.pixabay.com

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